Morbus Canavan

(Schwammförmige Degeneration)

Definition: Die Canavan-Krankheit ist eine genetisch bedingte Leukodystrophie mit weitverbreiteter Degeneration der weißen Materie im Gehirn. Diese Degeneration führt zu Schwellungen und Schwammigkeit des Myelins, und die Canavan-Krankheit wird manchmal „Schwammförmige Degeneration des Gehirns“ genannt.

Klinische Manifestation: Babys mit Canavan sehen im frühesten Leben normal aus. Im Alter zwischen 3 und 6 Monaten können sie leicht erregbar und hypoton erscheinen. Ihnen fehlt die Kontrolle über ihre Kopfbewegungen. Meilensteine in der Entwicklung sind verspätet, und der Kopf wächst zunehmend, wobei sich die Halsmuskelschwäche nicht bessert. Die anhaltende generelle Hypotonie, der große Kopf (Megalenzephalie) und die fehlende Beherrschung der Kopfbewegungen sollten den Verdacht der Canavan-Krankheit aufkommen lassen.

Klinischer Verlauf: Canavan-Kinder sind retardiert, besonders in der Entwicklung ihrer motorischen Fähigkeiten. Sie lernen, sozial zu interagieren, sie lachen und lächeln, versuchen, die Hände nach Objekten auszustrecken, und sie können ihre Köpfe heben, wenn sie auf den Bauch gelegt werden. Doch sie lernen nie sitzen, stehen, laufen oder sprechen. Wenn Canavan-Kinder älter werden, tritt die Hypotonie zugunsten einer spastischen Lähmung in den Hintergrund, ähnlich der Kinderlähmung. Nach dem ersten oder zweiten Lebensjahr werden die Erregbarkeit, Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme, Krämpfe und Schlafstörungen deutlicher. Obwohl bei der Canavan-Krankheit optische Atrophie auftritt, sind die Kinder nicht blind, und viele können sehen und Objekte mit den Augen verfolgen. Ab dem Zeitpunkt, wo die Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme zunehmen, werden Canavan-Kinder zusätzliche Fütterhilfe benötigen, entweder durch einen Schlauch durch die Nase oder durch eine permanente Magensonde.

Lebenserwartung: Bei guter ärztlicher und pflegerischer Versorgung können Canavan-Patienten bis ins Teenageralter oder sogar darüber hinaus überleben. Aussagen in der Literatur, die die Lebenserwartung eines Kindes mit Canavan auf drei bis vier Jahre begrenzen, treffen vermutlich nur auf einige Fälle zu.

Ursache: Die Canavan-Krankheit wird durch Mangel des Enzyms Aspartoacylase verursacht. Dieses Enzym kommt in großen Mengen in der weißen Materie im Gehirn vor, und seine Abwesenheit führt zu einer Ansammlung von NAA, das nicht aufgespalten werden kann. Die Ansammlung von NAA führt zur Schwammförmigkeit und zur „Schwellung“ des Gehirns. Diese Störung der weißen Materie ruft die schweren neurologischen Probleme der Canavan-Krankheit hervor. Die schwammige weiße Materie ist ein typischer Befund und war früher das bestimmende diagnostische Kriterium, bevor der Enzymdefekt entdeckt wurde.

Diagnose: Die Magnetresonanzaufnahme eines Kindes mit Canavan zeigt generell die Störung in der weißen Materie und einiges an Schwammigkeit. Die Diagnose wird anschließend bestätigt, indem der Urin auf N-acetylaspartische Säure (N-Acetylaspartic Acid – NAA) untersucht wird. Dieser Bestandteil ist spezifisch für die Canavan-Krankheit und wird mehr als hundertmal über normal liegen. Eine nur fünf- bis zehnfache Erhöhung spricht gegen die Canavan-Krankheit. Um zur Diagnose zu gelangen, müssen die Werte des Enzyms Aspartoacyclase nicht gemessen werden.

Epidemiologie: Die Canavan-Krankheit ist pan-ethnisch, jedoch mit einer hohen Vorkommensrate unter ashkenazisch-jüdischen Menschen. Durch das Klonen des Canavan-Gens wurde für die ashkenazisch-jüdische Volksgruppe eine Trägerrate von 1:35 bis 1:40 bestimmt. Dies ist eine sehr hohe Trägerrate für eine Krankheit, die als so selten galt. Die Trägerrate unter nichtjüdischen Menschen ist schwer zu bestimmen, denn es muß nach vielen Mutationen gesucht werden, von denen viele noch nicht identifiziert sind.

Genetik: Die Canavan-Krankheit wird autosomal-rezessiv vererbt. Beide Elternteile müssen Träger des Canavan-Gens sein. Jedes übertragende Elternteil hat ein Canavan-Gen. Wenn das Kind BEIDE Canavan-Gene vererbt bekommt, eines von jedem Elternteil, dann wird das Baby die Krankheit haben. In einer Familie mit einem Canavan-Kind liegt das Risiko, ein weiteres infiziertes Kind zu haben, bei 25%. Dies gilt für alle rezessiven Krankheiten. Das für die Canavan-Krankheit verantwortliche Gen ist geklont worden, und bei vielen Patienten sind Mutationen identifiziert worden. Dies ist sehr wichtig für medizinische Beratung und Vorbeugung.

Es gibt nur zwei Mutationen, auf die 99% aller Canavan-Fälle unter jüdischen Menschen zurückzuführen sind. Diese sehr niedrige Mutationsrate und der sehr hohe Prozentsatz identifizierter Mutationen unter jüdischen Patienten ließen eine großangelegte Bevölkerungsstudie unter jüdischen Volksgruppen und die Entdeckung der hohen Trägerrate zu. Es gibt mehr als 30 Mutationen, die bei nichtjüdischen Patienten beschrieben wurden. Diese Zahl von Mutationen an nichtjüdischen Menschen zieht noch immer eine hohe Anzahl an unidentifizierten Mutationen nach sich. Daher sind Schätzungen der Trägerrate nach wie vor schwer zu erhalten.

Träger-Tests: Träger-Tests stehen für Familien zur Verfügung, die ein Canavan-Kind haben. Träger sind gesunde Individuen, und das einzige Testverfahren, das bei Canavan einen Träger identifizieren kann, ist eine Mutationsanalyse. Der Test wird an einer kleinen Blutmenge durchgeführt, das auf Filterpapier abgegeben werden kann, und das Papier kann einfach zum Testlabor geschickt werden. Der Zweck von Trägertests ist medizinische Beratung und Vorbeugung. Wenn eine Person als Träger ausfindig gemacht wurde, wäre es ratsam, den Partner zu untersuchen und für den Fall, daß beide Eltern Träger sind, eine Pränataldiagnose anzubieten.

Unter ashkenazischen Juden ist die Suche nach Trägern nicht schwer, denn es muß nur auf zwei Mutationen getestet werden. Und da die Trägerrate unter der jüdischen Bevölkerung so hoch ist (1:35 – 1:40), muß keine Familiengeschichte, die Krankheit betreffend, vorliegen. Jeder gesunde Mensch kann getestet werden. Die Personen, bei denen sich die Trägerschaft bestätigt, werden über die Notwendigkeit eines Tests bei ihrem Partner informiert. Es gibt Programme zum Ausfindigmachen von Trägern der Canavan-Krankheit in der jüdischen Bevölkerung. Diese Programme sind denen zur Prävention von Tay Sachs ähnlich.

Pränataldiagnose: Wenn in der Familie die Genmutationen als Canavan-Risiko bekannt sind, kann während der Schwangerschaft eine Mutationsanalyse vorgenommen werden. Diese wird als Amniozentese oder als Test an Chrorionic Villi durchgeführt. Die DNA wird dann auf spezifische Mutationen untersucht, die in dieser Familie festgestellt wurden. Wenn keine Mutationen identifiziert wurden, kann dennoch die Pränataldiagnose vorgenommen werden, indem die amniotische Flüssigkeit auf NAA untersucht wird. Die Meßgenauigkeit für das Enzym Aspartoacylase ist für die Pränataldiagnostik nicht verläßlich genug.

Andere Formen der Canavan-Krankheit:

Neonatale Canavan-Krankheit: Es gibt einige Berichte sehr schwerer Canavan-Manifestationen kurz nach der Geburt. Diese Berichte gehen auf die Zeit zurück, bevor der Canavan-eigene Enzymdefekt beschrieben wurde. Daher kann nichts darüber ausgesagt werden, ob solche Patienten einen Aspartoacylasemangel hatten. Vermutlich waren sie der gemeinen Form der Canavan-Krankheit ähnlich, die allgemein als INFANTILE Form der Canavan-Krankheit bekannt ist.

Eintritt der Canavan-Krankheit im Kindesalter oder später: Kinder mit dieser Ausprägung machen sich gut und entwickeln sich bis zum Alter von etwa fünf Jahren normal, dann beginnen sie, neurologische Probleme zu entwickeln. Ihr Gang und ihre Sprache sind betroffen. Berichte davon liegen ebenfalls von vor dem Zeitpunkt der Entdeckung des Enzymdefektes vor. Daher kann es sich hierbei unter Umständen auch nicht um die Canavan-Krankheit gehandelt haben. In einem Bericht wird ein „hoher“ NAA-Wert im Urin erwähnt, ohne jedoch Meßwerte anzugeben, und Mutationen konnten nicht identifiziert werden. Dies mag eine wichtige Kategorie sein, doch genaue Information über Diagnose und NAA-Werte im Urin werden benötigt.

Behandlung: Unterstützende Standardbehandlung ist einzig verfügbar.

Klinische Studien: Gentherapie ist getestet worden, indem normale Gene in die Gehirne zweier Canavan-Kinder injiziert wurden. Die Resultate werden noch ausgewertet.

Diätetische Methode: zielt darauf, bei Canavan-Kindern Gehirnmetaboliten zu verändern, und wird noch studiert. Die Untersuchung läuft noch.